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Sang Cipta Rasa

Die Pencak Silat Schule "Gerak Silat Risang Cipta Rasa" oder kurz "Sang Cipta Rasa" ist die traditionelle Kampf- und Waffenschule der Prajurit Ganggeng Samudro,  einer Spezialeinheit der königlichen Truppen am Hofe des keraton von Yogyakarta.

Neben anderen Brigaden des keraton sind die Prajurit Ganggeng Samudro vor allem als versierte Bogenschützen und für ihre Kunstfertigkeit im Umgang mit (scharfen) Waffen bekannt.

Bis vor Kurzem wurden die Kampfkünste und die mystisch-spirituelle Komponente des Sang Cipta Rasa geheim gehalten. Erst seit wenigen Jahren werden sie teilweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Der Name der Schule kann aus dem Javanischen in etwa übersetzt werden mit

"Kampfkunst zur Entwicklung von Gefühl", wobei Gefühl (rasa) im weitesten Sinne als Feinfühligkeit, geschärfte und wache Sinne, sowie Mitgefühl verstanden wird.

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Das Oberhaupt der Prajurit und von Sang Cipta Rasa ist Gusti Kanjeng Raden Tumenggung Tubagus Ali Mustofa (GusMus).

Gusti ist ein javanischer Titel, der für Heilige und Könige verwendet wird, aber auch als "Meister" übersetzt werden kann. 

GusMus ist ein Waffenschmied (empu), das heißt er stellt traditionelle javanische Klingenwaffen her: Keris (Schlangendolch), Kerambit (Sichel), Golok (Machete); außerdem fertigt er aus Bambus und Sewu-Holz eigenhändig Sets aus Pfeil und Bogen.

GusMus ist darüber hinaus ein debus-Meister, der mystisch-spirituelles Wissen nutzt, um sich selbst und seine Prajurit vor tätlichen Angriffen und Waffengewalt zu schützen. Deshalb werden debus-Vorführungen auch als Demonstrationen von Unverwundbarkeit gehandelt (siehe unten).  

GusMus bewahrt seit Generationen das militärisch-strategische sowie mystisch-spirituelle Wissen der Kampfkunst, das am keraton von Yogyakarta gepflegt und bis zum Sultanat Mataram zurückverfolgt wird. 

Zwischen Dezember 2014 und Oktober 2015 hatte ich die Chance, als erster "Westler" die Kampfkunst und Waffenschule des Sang Cipta Rasa kennenzulernen - direkt von GusMus persönlich. Zunächst wurde mir gewährt, am Bogenschießen (jemparing) teilzunehmen, das (auf persönliche Empfehlung) auch Außenstehenden zugänglich ist. Nachdem ich an einigen sonntäglichen Jemparingan-Sessions teilgenommen hatte und GusMus sich ein Bild von mir machen konnte, schlug er mir vor, mich auch in Pencak Silat zu unterweisen. In seinem öffentlichen Empfangsraum bekam ich fortan abendlich bis zu vier Stunden lang Einzel-unterricht, auch im Umgang mit Kerambit und Golok. Nach etwa einem halben Jahr intensiven Unterrichts wurde ich rituell in die Familie des Sang Cipta Rasa aufgenommen.

Im Sommer 2016 konnte ich erneut für einige Wochen nach Yogyakarta reisen und mich von GusMus unterweisen lassen. Diesmal nahm ich auch am regulären Training der Prajurit teil und wir übten uns gemeinsam in Silat, unter anderem auch im Umgang mit Langstock (toya) und in speziellen Harimau- (Tiger-) Techniken. Der Tiger spielt, neben anderen Tierfiguren,    eine besondere Rolle in Sang Cipta Rasa. Auch deshalb fühlte ich mich, als Puma, bei GusMus und den Prajurit von Anfang an wohl, wie in einer großen Familie.

Sang Cipta Rasa umfasst, wie bereits erwähnt, sowohl militärisch-strategisches als auch mystisch-spirituelles Wissen und als Kampfkunst der prajurit Ganggeng Samudro finden sich beide Bereiche in Techniken "mit leeren Händen" wie auch im Umgang mit einer Vielzahl traditioneller Waffen wieder. Als Bogenschützen und Elitesoldaten des keraton sind die Prajurit in jeglicher Kampfdistanz versierte Kämpfer und ihre Kriegstechniken entsprechend effektiv. Sportlichen Wettkampf lehnen GusMus und die Prajurit kategorisch ab, da in ihrem Verständnis effektive und tödliche Techniken den Wesenskern der Kampfkunst bilden und als solche nicht für sportlichen Zweikampf oder Wettkampfsport geeignet sind. Kunstvolle Darbietungen ihres Könnens in Form von choreografiertem Zweikampf, Synchron- und Soloformen werden jedoch zu besonderen Anlässen gezeigt. Dabei ist eine debus-Vorführung oftmals der Höhepunkt und verbindet Ästhetik, Mystik, Effektivität und Kraft.    

Panahan / Jemparingan (Bogenschießen)

 

Die Prajurit Ganggeng Samudro sind als Bogenschützen des keraton auf präzise Distanzschüsse spezialisiert. Geschossen wird aus einer sitzenden Position (Schneidersitz), auf ein zylinderförmiges Ziel von etwa 30cm Länge und 4cm Durchmesser, das üblicherweise in einer Entfernung von 30 Metern plaziert ist. Auch die traditionelle Weise des Bogenschießen vom Rücken eines Pferdes wird von den Prajurit seit Kurzem wieder betrieben.

Die von GusMus gefertigten Bögen und Pfeile bestehen größtenteils aus speziellem Bambus, der an den Berghängen des Merapi zu finden ist. Das Mittelstück (Griff, Pfeilauflage & Halterung der Wurfarme) ist aus Sewu- oder Nangka-Holz geschnitzt und enthält eine kleine ausgeschnittene Pfeilauflage. Jemparingan zählt zum intuitiven Bogenschießen, da das Ziel anvisiert und der Bogenarm nach Gefühl in die richtige Position gebracht wird.

Die prajurit lehnen zwar sportlichen Wettkampf und Pencak Silat als Kampf-Sport ab, im Jemparingan aber messen sie sich im Rahmen eines regionalen Wettkampfsystems. Dabei werden 20 Runden jeweils 4 Pfeile in Folge geschossen. Körpertreffer (weiß) zählen jeweils einen Punkt, Kopftreffer (rot) zählen 3 Punkte. 

Jemparing-Turniere sind prestigeträchtige Veranstaltungen, aber die Prajurit betonen dass der eigentliche Wesenskern ihrer Bogenschießkunst in kontemplativer Erziehung liegt. Nur wer Körper, Geist und Herz beruhigt kann ein guter Bogenschütze werden und sein Ziel treffen, ermahnt GusMus seine Schüler.

Kerambit (Sichel-Messer)

Charakteristisch für ein Kerambit sind die gebogene, klauenähnlichen Klinge und (i.d.R.) ein Ring am Ende des Griffes. Das Kerambit ist eine bedeutende und symbol-trächtige Waffe der Prajurit. Sie ist der Klaue eines Tigers nachempfunden und repräsentiert dessen Mut und Kraft. Das liegt auch daran, dass ein Kerambit nur in einer sehr nahen Kampfdistanz zum Einsatz gebracht werden kann, in der man sich nah an den oder die Gegner heran wagt. Das Kerambit ist eine heimtückische Waffe: beide Seiten der Klinge sind rasiermesserscharf, somit ist jede Angriffs- oder Abwehrbewegung doppelt gefährlich. Durch den Ring am Griffende ist es nahezu unmöglich den Träger eines Kerambit zu entwaffnen.  

Golok (Kurze Machete)

Das Golok ist ein Kurzschwert oder eine kurze Machete und kommt bei den Prajurit ähnlich wie das Kerambit in der Nahdistanz zum Einsatz. Nur die untere Seite der Klinge ist scharf geschliffen. Der gebogene Griff ermöglicht es aber, das Golok mit knappen, fließenden Bewegungen im Handgelenk und der Handfläche rotieren und schnell in jede beliebige Richtung schwingen zu lassen. Die Prajurit sind im Umgang mit dem Golok derart geübt, dass ihre Bewegungen mit bloßem Auge nur schwer zu verfolgen sind. In Indonesien ist das Golok (teils unter anderen Bezeichnungen) als Alltags- und Allzweckwerkzeug, als Statussymbol und Zeichen für das Erreichen des Erwachsenenalters eines Mannes fester Bestandteil des Lebens.

Tongkat / Toya (Langstock)

Der Langstock, Tongkat oder Toya genannt, besteht aus Bambus oder Rattan und ist demnach recht flexibel, aber extrem belastbar. Ein Toya ist etwa 1,80 Meter lang und hat einen Durchmesser von 2-3 Zentimetern. Für den Kampf auf Distanz und gegen mehrere Gegner ist er in den Kriegstechniken und -taktiken der Prajurit fest verankert. Im Wechselspiel aus rotierenden, weitläufigen Schlagbewegungen und knappen, präzisen Stößen mit der Spitze des Toya können Gegner effektiv auf Distanz gehalten und überraschend attackiert werden. Außerdem stellt das Üben im Umgang mit dem Toya neben einer Verbesserung der Koordinationsfähigkeit auch  

ein "Fein-tuning" der Muskulatur dar.

Eine Reihe weiterer Waffen und waffenloser Praktiken ist Teil von Sang Cipta Rasa. Verschiedene Tierformen - ähnlich bekannter KungFu-Stile - sind neben dem Tiger als (inoffiziellem) Wappentier fester Bestandteil des Trainingprogramms der Prajurit.

Den Umgang mit Waffen wie Schlangendolch (Keris), unterschiedlichen Schwertern (Anggar, Candrasa, Luwuk), Sicheln (Celurit), Kurzstöcken (Gada) oder Peitsche (Pecut/Taji) erlernen die Prajurit sukzessive im Laufe ihrer Ausbildung in Sang Cipta Rasa.

Ihre Fertigkeit in waffenlosem und bewaffnetem Kampf demonstrieren die Prajurit regelmäßig in Choreographien, die i.d.R. aber einer ausgewählten Zuschauerschaft (religiöser Gruppen oder höfischer Elite) vorbehalten sind - bzw. bisher vorbehalten waren. Durch zunehmende Öffnung nach außen gewinnen die Kampfkunst der Prajurit und auch GusMus' mystisch-spirituelle Expertise ausgehend von Yogyakarta immer weitläufiger an Bekanntheit. 

Debus

 

Debus bezeichnet mystisch-spirituelles Wissen und Praktiken, die regelmäßig in öffentlichen Demonstrationen zum Ausdruck gebracht werden. Debus-Meister wie GusMus demonstrieren dabei ihre "Unverwundbarkeit" (ilmu kebal), beispielsweise gegenüber Hieb-, Stich- und Schnittverletzungen durch die oben beschriebenen, gängigen Waffen, durch Glassplitter, sowie durch eigens für Debus-Demonstrationen angefertigte Werkzeuge und Vorrichtungen. Zu letzteren zählt insbesondere der "paku debus", ein spitzer Metallspieß dessen hinteres Ende in einer hölzernen, zylinderförmigen Plattform verankert ist, und   der durch Schläge mit einem passenden Kolben gegen den Körper eines Debus-Praktizierenden gerammt wird. Debus-Meister demonstrieren auf diese Weise auch die Fähigkeit, Unverwundbarkeit auf ihre Schüler und andere Personen übertragen zu können. Zudem präsentieren Debus-Meister außergewöhnliche Fähigkeiten, wie kämpfen ohne die Sehkraft nutzen zu müssen, einen Gegner ohne Berührung zu Fall zu bringen oder anderen Menschen ihren Willen aufzuzwingen. Debus-Meister hüten die Geheimnisse des Debus und geben sie nur an Schüler weiter, die der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden.

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